shifting borders
typographic
topography

konzept und gestaltung / nora gummert-hauser 

Impuls
Ende Juni 2012 war ich auf einer Hochzeit im Westen von Polen eingeladen. Bei dieser kurzen Reise wurde mir bewusst, dass wir uns auf ehemals deutschem Gebiet befinden, denn mein typografisch geschulter Blick entdeckte sofort die deutschsprachigen Fragmente, die dort noch bzw. wieder sichtbar sind, nachdem der Putz bröckelt, der bei der »Polonisierung« dieser Gebiete auf die Häuser aufgebracht wurde.

Viele Ortsschilder und Beschilderungen weisen heute wieder deutsche und polnische Beschriftungen auf. Einige von uns kennen noch gängige Namen, wie Jelenia Gora – vorher Hirschberg oder Wrocław – vorher Breslau. In Gryfow Śląski – vormals Greiffenberg – habe ich nachstehendes Foto aufgenommen. Unter dem abgeblätterten Putz kommt eine klassische Werbemalerei in deutscher Sprache vom Beginn des 20. Jahrhunderts zum Vorschein.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die letzten visuellen Zeugnisse verschwunden sind. Dann wird die deutsche Geschichte in Polen ähnlich unsichtbar wie in Berlin, wo sich heute die wenigsten noch erinnern können, wo genau der deutsch-deutsche Grenzverlauf einmal war.

Nachdem ich mich 2013/14 innerhalb der Lehre und Forschung dem Thema Europa und Zuwanderung zugewendet habe, wurde mir klar, dass ich in meinem Forschungssemester zum Thema der europäischen Grenzverschiebungen recherchieren möchte. Als ich meine Recherche begann, fiel mir dieses Bild noch einmal vor die Füße und ich entschied mich dazu, mich mit der Grenze von Polen zu beschäftigen.

»Die Katzen halten keinen für eloquent, der nicht miauen kann.«

Marie von Ebner- Eschenbach (1830–1916)

Konzipiert wurde eine Publikation, »Typographic Topography« – die sich der Geschichte der Grenzverschiebung widmet und die im Bildteil die sogenannten »Ghost Signs«, also verblichene Fassadenwerbung und auch andere typografische Zeugnisse dokumentieren und verorten, die ich auf meinen Kurzreisen in Polen gefunden habe.

Aber es entstanden auch noch interessante andere Publikationen, eine einleitende Broschüre, mit der ich über mein Forschungsthema informiert habe; zum Thema der Polonisierung der ehemaligen deutschen Gebiete im Westen Polens gestaltete ich ein kleinformatiges, zweisprachiges Wörterbuch, welches sich den deutschen Lehnworten in Polen widmet, sowie ein 28 Meter langes Leporello, welches alle Ortschaften im Westen von Polen listet, die einen polnischen Namen erhalten haben. Zum Thema der Verträge, die sich im Laufe des letzten Jahrhunderts mit den Grenzen Polens befasst haben, konzipierte ich eine »Akte«, die sich nur mit den Texten beschäftigt und jene Textpassagen typographisch auszeichnet, die sich mit der Grenzziehung befassen.

»Zielsetzung dieses Projektes war die Sichtbarmachung der polnischen Grenzverschiebungen anhand der Dokumentation von typografischen Fragmenten und Zeichen im öffentlichen Raum.«

Intro – Information

Umfang 16 Seiten / Format 148 x 210 mm / Druck 4c Digital / Auflage 200 / Schriften Knockout und Old Standard

Um Freunde und Kollegen auf mein Forschungsthema aufmerksam zu machen, habe ich im August eine 16-seitige Broschüre konzipiert und gestaltet. Diese erläutert in deutscher und englischer Sprache die Thematik und gibt einen kurzen Einblick in den Sachverhalt der Verschiebung der polnischen Westgrenze nach dem 2. Weltkrieg. Und sie kommuniziert die Dokumentation des gesamten Prozesses des Forschungssemesters auf www.shiftingborders.eu

Diese kleine Intro-Broschüre kann auch via Issuu online eingesehen und gelesen werden.

Typographic Typography

Umfang 168 Seiten / Format 140 x 280 mm / Druck 4c Digital / Auflage 3 / Schrift Geogrotesque

Das fotografische Material der typografischen Fragmente ist in dem Buch „Typographic Topography“ gesammelt. Entstanden ist ein umfangreicher Bildband mit einleitendem Textteil und Kartenmaterial. Das Format des Buches und auch der Raster beziehen sich auf den Umriss des heutigen Polen, welcher ungefähr quadratisch ist.

Der Titel resultiert aus der Tatsache, dass ich mittels der Typografie die topografische Verschiebung der Grenze sichtbar machen wollte. Im Bereich der Sprachforschung wird dieser Begriff meistens umgekehrt verwendet: Topographic Typography – und verweist auf unterschiedliche Schriftformen, die bestimmten Regionen entstanden sind, oder zumindest dort am häufigsten zu finden sind. (Ganz auffällig sind zum Beispiel Schriftformen, die man ausschließlich im Baskenland findet, oder die sogenannten »Krulletters«, die in Amsterdam entstanden sind.) Die inhaltliche Struktur sieht folgendermaßen aus – eine schriftliche Erläuterung und Herleitung des Themas, begleitet von Bildmaterial, welches auf die historische Dimension von Typografie und auf den dokumentarischen Ansatz verweist.

Danach wird die Grenzveränderung von Polen von 1789–1993 mit Hilfe von neu erstellten Karten dokumentiert. Im Anschluss folgt der Bildteil mit einer Auswahl der in Polen gefundenen typografischen Fragmente deutscher Vergangenheit. Unter den Fotos findet sich immer die genaue Ortsangabe mit Datum und einer Miniaturkarte von Polen, auf der der Standort vermerkt ist.

Die vollständige Publikation »Typographic Topography« kann via Issuu eingesehen werden.
Zur besseren Online-Lesbarkeit wurde der Textteil gedreht.

Karten: Gerd Hauser – Basisdaten Karten: IEG-MAPS – Server für historische Karten – iegmaps.de // Video auf Vimeo

Deutsche Lehnworte

Umfang 40 Seiten / Format 74 x 148 mm / Druck 4c Digital / Auflage 6 / Schriften Knockout + Old Standard

Die polnische Sprache enthält heute noch sehr viele Lehnworte aus dem Deutschen, die meisten werden jedoch nicht mehr benutzt. Darauf gestoßen bin ich, als ich in Gdynia ein Café mit dem Namen KURORT fotografierte. Beim Nachschlagen des Wortes im polnischen Wörterbuch stellte sich dann heraus, dass im Polnischen dieses Wort identisch verwendet wird.

Frappierend fand ich auch das polnische Wort WIHAJSTER (laut aussprechen, dann versteht man direkt, was gemeint ist) – das dem deutschen Begriff DINGSBUMS entspricht. Viele dieser Wörter werden nur in bestimmten Regionen in Polen verwendet und viele jüngere Leute benutzen diese Worte auch nicht mehr. Ein Lehnwort neueren Datums ist zum Beispiel »Autohandel«.

Eine Auswahl von verschiedensten Lehnwörtern findet sich nun wieder in dem von mir erstellten Wörterbuch. Dieses hat ganz bewusst ein sehr kleines Format, sodass es an ein Vokabelheft erinnert. Dazu entstanden auch Plakate. Der einleitende Text sollte sich, konzeptionell passend zu einem polnisch-deutschen Wörterbuch, auch in polnischer Sprache darin wiederfinden. Der Dank dafür geht an Małgorzata Klaus, die den Text ins Polnische übersetzt hat.

Polonisierung

Umfang Leporello / Format 60 x 120 mm, 28 m Länge / Druck 4c Digital / Schrift Geogrotesque

Dieses 28 m lange Leporello visualisiert die Polonisierung am Beispiel der Umbenennung der Deutschen Ortsnamen in Polnische. Das Leporello spiegelt die Form der Unendlichkeit und die Länge im Verhältnis zu dem sehr kleinen Format soll das Ausmaß der betroffenen Personen erahnen lassen, selbst wenn es sich vielfach auch um kleine Ortschaften gehandelt haben mag. Denn nicht nur die Ortsnamen waren betroffen, sondern Personen wurden auch umbenannt. Die deutsche Sprache wurde flächendeckend verboten.

Auch hier gibt es auf den ersten Klappseiten eine inhaltliche Einleitung, die Übersetzung ins Polnische wurde von Malgorzata Klaus besorgt. Danach folgen einige Karten, die den Grenzverlauf von Polen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, sodass verständlicher wird, um welche Regionen es sich hier handelt.

Staatsverträge

6 Hefte à 210 x 297 mm / Druck 4c Digital / Schrift Geogrotesque

»Cui bono?«

Cicero

Hier findet sich eine typografische Aufbereitung der politischen Verträge während und nach dem Zweiten Weltkrieg, die die polnischen Grenzen betreffen: die Krimkonferenz (1945), das Potsdamer Abkommen (1945), der Görlitzer Vertrag (1950), der Warschauer Vertrag (1970), der Zwei-plus-Vier-Vertrag (1990) und der Grenzvertrag Polen-Deutschland (1990).

Wir kennen alle die Namen dieser Verträge, der Wortlaut ist uns aber meist nicht geläufig und die wenigsten wissen, was eigentlich genau darin steht. Ich habe die Vertragstexte 1:1 übernommen, durch die typografischen Auszeichnungen jedoch lassen sich diejenigen Passagen sofort auffinden, in denen es um die Grenze von Westpolen geht.

Ich habe die Verträge in klassischem DIN A4 Format angelegt, gedruckt in Schwarz und Rot, auf Dünndruckpapier. Dies soll die Fragilität dieser Verträge visualisieren. Der Aktencharakter wird dadurch verstärkt, dass die sechs Verträge in einer klassischen schwarzen Aktenmappe aufbewahrt werden.